Nach Capo d‘Orlando wollte ich nie

Zugfahren in Italien hat schon seinen eigenen Reiz. Es ist zwar im Verhältnis zu Deutschland sehr günstig, kann aber auch sehr chaotisch werden.

Gerade sitze ich am unromantischen Bahnhof von Capo d‘Orlando. Eine Stunde ungeplanter Aufenthalt bis 11.35 Uhr.  Nicht etwa, wegen „in ritardo”, der üblichen Verspätung, sondern, weil ich schlicht in die falsche Richtung gefahren bin. In Richtung Messina anstatt in Richtung Palermo.

 Bahnhof von Capo d’Orlando 

Wie kann so etwas passieren? Die Anzeigen sind auch in Italien elektronisch und die Bahnsteige ausgeschildert. Ganz einfach; es ist mal wieder ein Zug verspätet angekommen und steht dann auf dem falschen Gleis. Es folgen Durchsagen, erst  auf Italienisch dann noch auf Englisch, die akustisch absolut nicht zu verstehen sind. Ich bin also in Cefalú einfach am Gleis 1 in den Zug eingestiegen, der am Gleis stand. Ohne jemanden zu fragen. In meine Zug, wie ich dachte, der um 09.10 Uhr am Binario 1 nach Palermo abfahren sollte. Die Abfahrt verzögerterte sich, wie immer. Ich dachte mir nichts dabei, studierte den Reiseführer von Palermo. Bei meinem letzten Besuch im Januar habe ich die Stadt bereits sehr gut kennengelernt.

Schon in Catania hatte ich bei der Weiterfahrt nach Messina ein gewisses Chaosgefühl am Bahnhof. Ich stand eine halbe Stunde vor Abfahrt an Gleis 9, dem Gleis von dem mein Zug abfahren sollte. 20 Minuten vor Abfahrt eine Durchsage: “der Zug aus XY, der auf Gleis 10 einfahren sollte, fährt nun auf Gleis 9 ein.” Auf meinem Abfahrtsgleis  wird von einer gelben Lock ein offensichtlich defekter Zug eingeschleppt. Die Fahrgäste strömen auf den Bahnsteig, diskutieren. Es heißt, dass ein anderer Zug kommen soll, in den sie umsteigen sollen. Ich bin irritiert- weshalb kommt keine Durchsage, wo mein Zug nun abfahren soll? Dieses Gleis ist schließlich besetzt. Die elektronische Anzeige ändert sich nicht, aber es kommt auch keine Durchsage, dass der Zug Richtung Messina gleich abfährt – und wie ein Intercity, den ich laut meiner Fahrkarte gebucht habe, sieht der Zug auf keinen Fall aus.

Zwei Minuten vor der geplanten Abfahrt läuft zum Glück ein Schaffner vorbei. Ich frage ihn, wo der Zug nach Messina denn nun eigentlich abfährt. Da deutet er auf den alten Zug auf Gleis 9. Da Vero? Wirklich? Frage ich ungläubig – in diesen Zug wäre ich nie im Leben eingestiegen. Natürlich fahren wir auch erst 15 Minuten später ab, aber immerhin fahren wir.

Aussicht auf’s Meer durch das Zugfenster 

Palermo ist mit dem Zug nur eine knappe Stunde von Cefalú entfernt. Das Wetter ist herrlich und so wollte ich dieser wunderschönen Stadt wieder einen Besuch abstatten. Vielleicht sogar bei dem Koch vorbeischauen, den ich im Januar kenngelernt habe. Im Rückblick hätte mir natürlich sofort auffallen müssen, dass das Meer vom Zug aus auf der falschen Seite blau schimmert, aber im Geist bin ich bereits vom Bahnhof aus die Via Maqueda entlang gelaufen, an der schönen Piazza Pretoria und den Quattro Canti vorbei, den Corso Vittorio Emmanuele hoch zum Palazzo dei Normanni und dann weiter zu den Catacombe dei Capuccini. Den Rest des Tages wollte ich unverplant lassen, einfach bummeln, in der Nähe des Hafens etwas essen, vielleicht einen Wein trinken, schließlich muss ich heute nicht Autofahren. Diesen Besuch werde ich jetzt aber tatsächlich auf ein anderes Mal  verschieben müssen. Dafür habe ich jetzt Capo d‘Orlando gesehen.

In der Innenstadt von Capo d’Orlando 

Die Ansage von San Agata habe ich unterwegs noch mit halbem Ohr gehört, mir kam der Name seltsam bekannt vor. Nach einer Stunde Zugfahrt, der Zug blieb auch ständig aus unerfindlichen Gründen auf der Strecke stehen, wurde ich jedoch etwas unruhig, mir kam es seltsam vor, dass wir noch nicht in Palermo waren. Die Durchsage sprach von nur noch 5 Minuten Verspätung. Um Akku zu sparen, hatte ich mein Handy auf Flugmodus geschaltet. Leider gibt es in den italienischen Zügen keine Steckdosen, eine Powerbank ist also meine nächste Anschaffung. Als als nächster Halt Capo d‘Orlando angekündigt wurde – Capo d‘ Orlando? Das liegt doch in der Nähe von Milazzo? – habe ich mich über Google geortet. Tatsächlich, ich bin in der falschen Richtung unterwegs. Also bin ich ausgestiegen, hoffte, direkt in Richtung Palermo zurückfahren zu können. Aber der nächste Zug ging erst nach über einer Stunde. Okay, dann bin ich eben hier. Irgendwann habe ich mir abgewöhnt, zu glauben, dass es mir in diesem Moment an einem anderen Ort besser gehen würde. Vom Bahnhof aus bin ich schnurgerade vor zum Meer, zum Lungomare gelaufen. Die Suche nach einem offenen Café mit Sitzgelegenheit in der Sonne verlief erfolglos. Das Elend eines Sommerurlaubsorts im Winter. Die Häuser an der Strandpromenade verbarrikadiert, alles leer und verlassen. Wie trist es jetzt schon bei Sonnenlicht aussieht, wie deprimierend muss es hier erst im Regen sein. Alte Männer sitzen versonnen auf‘s Meer schauend vereinzelt auf Bänken, Walkerinnen überholen mich.

Lungomare von Capo d’0rlando 

Der Ort war schnell erkundet – quasi alle Geschäfte für den schnellen Hunger zwischendurch, Foccacerien und Take-Aways, geschlossen. Wozu auch? In einer Macelleria holte ich mir bei einem unwahrscheinlich unfreundlichen Menschen ein belegtes Panino und als Wechselgeld zwei 500 Lirestücke, die ich jedoch beim Wegstecken in die Hosentasche als Zweieurostücke deutete.

Ich finde keine schöne Bar, schon gar keine, vor der ich in der Sonne sitzen könnte und  so gehe ich zurück zum Bahnhof. Hole mir einen Capucchino aus dem Bahnhofskiosk, wo die Männer an Geldspielautomaten sitzen oder auf ihren Handys spielen und warte immerhin in der Sonne am Bahnsteig auf den Zug nach Palermo. In Cefalú würde ich wieder aussteigen, denn ich wäre frühestens viertel nach zwei in Palermo. Da die Sonne aber bereits viertel vor fünf untergeht, ist mir das für einen Tagesausflug zu kurz. Beim Bezahlen des Capucchinos gibt mir der Kellner die eine Münze, die ich aus der Hosentasche fische, zurück: deshalb waren die beiden Geldmünzen also so leicht.Bevor ich auf die Idee kam, sie zu fotografieren, hatte ich die andere Münze leider schon im Sand versenkt. Die hier behalte ich als Glücksbringer 🍀

Planänderung: die paar Stunden, die mir heute Nachmittag verbleiben, bin ich eben eine “vera Tedesca” : ich lege mich bei 18 Grad Lufttemperatur an den Strand und springe bestimmt auch noch ins Wasser.

Das Meer ist immer noch angenehm warm 

Glück im Unglück: ohne diesen Ausflug gäbe es keinen neuen BLOGPOST. Denn den  habe ich auf der Rückfahrt nach Cefalú geschrieben.😊

Am Strand von Cefalù – wolkenlos blauer Himmel heute 

Auf eine Carbonara in Milazzo

Meine ersten italienischen Worte habe ich im Urlaub an der Adria gelernt: “Un gelato, prego!” Ein essentiell wichtiger Satz für eine Fünfjährige.

Mein Vater hat uns drei Kindern sofort nach der Ankuft am Urlaubsort ein paar  100 Lire Münzen in die Hand gedrückt. Offiziell wollte er unseres Selbständigkeit fördern, aber wahrscheinlich haben wir unsere Eltern nur beim Einräumen gestört. Jedes Jahr ging es im vollbepackten Auto nach Italien und jedes Jahr lief nach der Ankunft das gleiche Drama ab: das Appartement entsprach nicht den Fotos im Prospekt, irgendetwas war immer kaputt und meine Mutter hat unter Tränen erstmal die gesamte Wohnung geputzt. Mit mitgebrachtem Putzmittel natürlich. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte wurden es letztendlich immer wunderbare Ferien – und im Jahr darauf ging’s im  Urlaub natürlich wieder nach Italien.

Es müssen allerdings noch ein paar Worte mehr gewesen sein, die ich damals gelernt habe. Ich erinnere mich an Diaabende, bei denen es von diesem ersten Urlaub Fotos von mir am Strand, zusammen mit einem Ehepaar aus Turin, zu sehen gab. Ausgerüstet mit einer Schaufel und einem  roten Eimer strahle ich zwischen den Beiden in die Kamera. Zu dritt waren wir den ganzen Urlaub über immer wieder stundenlang unterwegs – meistens haben wir Miesmuscheln an den Felsen abgekratzt. Und ich erinnere mich noch genau: ich habe die Muscheln auch roh probiert. Sie müssen mir etwas Italienisch beigebracht haben – mit meinen Eltern sprachen sie jedenfalls Englisch. Im Kindergarten haben wir damals gelernt, wie wir uns Schuhe zubinden, aber Englisch noch nicht. Meine Eltern fuhren wahrscheinlich auch deshalb so gerne in den Urlaub nach Italien, weil sie sich am Strand nicht um uns kümmern mussten: irgendeine benachbarte kinderreiche italienische Familien hat uns sofort adoptiert. Die haben dann selbstverständlich auf uns aufgepasst.

Weshalb ich heute daran denke? Gerade bin ich zum ersten Mal dabei, „richtig” Italienisch zu lernen. Das hessische Bildungsurlaubsgesetz (so ein Wort kann es nur in Deutschland geben ☺️) macht es möglich, dass ich dieses Jahr zwei Wochen bezahlten Urlaub an einer Sprachschule machen kann. Chiara, die Lehrerin, bei der ich nachmittags Einzelunterricht habe, vermutet, dass ich wegen meines guten Akzents wohl bereits sehr früh Italienisch gesprochen haben muss. Da habe ich ihr von diesen ersten Urlauben und auch von den letzten zusammen mit den Eltern in Italien erzählt. Ganz gegen die Gewohnheit meiner Eltern immer andere Orte anzusteuern, haben wir drei Jahre hintereinander den gesamten August im Haus eines italienischen Freundes im Cilento verbracht. Damals war das noch Abenteuer pur. 18 Stunden waren wir im Auto zu dem kleinen Urlaubsort unterwegs, der vor allem bei Familien aus dem nahen Neapel beliebt war. Als grünäugige Fünfzehjährige mit langen dunkelblonden Haaren musste ich mir schnell einen gewissen Wortschatz zulegen, um den neapolitanischen Jungs auf ihren Vespas Paroli geben zu können. Aber auch als  meine Haare auf Kinnlänge gekürzt waren, tat das dem Erfolg auf der Passegiata, dem abendliche Spaziergang am Lungomare, keinen Abbruch. Meine neapolitanischen Freundinnen haben sich daraufhin sogar spontan ebenfalls die Haare abgeschnitten. (Ja, richtig gelesen: sie haben sich gegenseitig mit einer Haushaltsschere die Haare abgeschnitten😎).

In der Schule habe ich ganz klassisch Latein, Französich und so später Englisch gelernt. Aber Italienisch? In einen Kurs zu gehen hat für mich nie zu dieser Sprache gepasst. Das Selbststudium aus Büchern habe ich versucht, aber entnervt wieder abgebrochen. Italienisch ist doch keine Sprache, die man paukt sondern viel mehr  ein  Lebensgefühl!

Durch die Kombination mit Latein und Französisch kann ich fast jeden Text verstehen und irgendwie hat sich über die Jahre auch das Hörverständniss erhalten. Seit ein paar Jahren zieht es mich auch wieder regelmäßig nach Italien. Ich rede mit jedem ohne jegliche Fesseln von Grammatikregeln, „all intuito”, intuitiv also. Notfalls auch mit Händen und Füßen. So wie ich es mir abgehört habe. Bei meinem letzten Venedigbesuch habe ich allerdings kleine Stiche gespürt, als mir ständig auf englisch geantwortet wurde.

Jetzt drücke ich also in Milazzo noch einmal für zwei Wochen die Schulbank. Italienisch auf Sizilien. Jetzt wird der eine oder andere sagen: da sprechen Sie doch überhaupt kein richtiges Italienisch. Doch, sie sprechen Italienisch, aber die Alten eben auch noch Sizilianisch. Und ich weiß nicht weshalb, ich mag die Menschen in Süditalien einfach sehr. Wenn einer Neapolitanisch spricht, geht mir das Herz auf. Mir kommen die Menschen irgendwie kommunikativer, eine Spur herzlicher und vor allem liebenswert eigensinnig vor. Im Süden, so ungefähr ab Neapel, fühle ich mich richtig wohl.

Wir sind in einer Schüler-WG, die sich im selben Haus wie die Sprachschule Laboling befindet, untergebracht. Außer mir wohnen noch ein weiterer Deutscher, ein Österreicher, ein Russe, ein Ire und eine Japanerin hier. Umgangssprache ist natürlich Italienisch:

Wer weiß, was da sonst noch so auf dem Post-It steht. Grazie Mille an Rie. 

Im November besuchen vor allem Teilnehmer die Sprachkurse, die Studium und Schule längst hinter sich gebracht haben. Mit Axel, meinem österreichischen Mitschüler, habe ich unlängst darüber gelacht, dass wir wahrscheinlich eine Art Senioren-Unterricht bekommen. Weshalb können wir uns eigentlich nicht merken, dass für „in + Stadt” im Italienischen immer „a” genommen wird, und wie war das, wann benutzt man  Imperfetto und wann Passato Prossimo🙈?

In unserem Appartement gibt es eine zweckmäßige Gemeinschaftsküche. Jeder kocht meistens für sich alleine. Die Speisen, die wir zubereiten, verraten unsere Herkunftsländer: Rie macht sich dünne Suppen, viel Fisch, allerdings nicht roh, sondern in der Pfanne gebraten und das dann mit Unmengen an Knoblauch. Daniel aus Irland dagegen, köchelt sich braunes Stew zusammen, das er sich dann notfalls auch kalt auf’s Panino schmiert. Gestern war ich zusammen mit Rie zum Einkaufen von Vino Sfuso unterwegs. Vino Sfuso ist offener Wein, den man vor dem Kauf verköstigen kann. In einem kleinen Lebensmittelladen sind wir schließlich fündig geworden. Beim Blick in die Theke kam ich auf die Idee, für uns beide Carbonara zu kochen. Der Guancale, Speck aus der Schweinebacke, lag einfach zu verlockend in der Auslage. Die restlichen Zutaten gab‘s dort natürlich auch. Und auch einen Liter Nero d’Avola, sizilianischen Rotwein, abgefüllt in einer Plastikflasche. 

Bei Signore Montalbano gibt es alle Köstlichkeiten Siziliens. 

Carbonara ist ein supereinfaches, ganz schnelles Rezept – genau richtig für ein Abendessen nach einem anstrengenden Tag in der Schule oder wonach auch sonst immer.

Eine gute Carbonara ist selbst in Italien im Restaurant schwer zu finden. Denn: una buona carbonara si fa a casa: gute Carbonara macht man zuhause.

Deshalb verewige ich das Rezept jetzt auf meinem Blog- es kommt schließlich nicht auf das Ambiente der Küche an: schmecken muss es!
Rie hat die Zubereitung ebenfalls fotografisch festgehalten. Dann die Frage aller Fragen: „ E quando metti la panna?” Wann machst du die Sahne hin? Sie konnte nicht glauben, dass man für eine Carbonara weder Milch noch Sahne benötigt. In Osaka gibt es, wie überall auf der Welt beim Italiener: „Spaghetti Carbonara”, und das heißt, wie eben auch fast überall auf der Welt: Spaghetti mit Sahnesoße und gekochtem Schinken. Aber das ist keine Carbonara 🇮🇹!

Das ist Carbonara 😎


Zutaten für zwei Personen:

(Zeitaufwand: keine 15 Minuten)

  • 120 Gramm Guanciale alternativ Pancetta oder durchwachsenen Speck
  • 120 Gramm frisch geriebenen Guan Cavallo alternativ Provola, Pecorino oder:  halb und halb Pecorino und Parmesan (bitte nicht aus der Tüte im Kühlregal)
  • 2 Eier
  • 250 Gramm Spaghetti oder andere Nudeln – in meinem Fall Casarecce (ausgerechnet in diesem Laden waren die Spaghetti gerade ausverkauft)

Gewürze

  • Salz
  • Ein Esslöffel Olivenöl
  • Schwarzer Pfeffer

Zubereitung:

Gesalzenes Wasser zum Kochen bringen, die Nudeln hineingeben. Angegebene Kochzeit minus zwei Minuten kochen lassen.

Währenddessen: das Fleisch in dünne Stücke schneiden und in einer Pfanne mit dem Olivenöl gut anbraten

Die Eier mit dem geriebenen Käse in einer Schüssel vermengen, gut vermischen, eventuell eine Prise Salz dazugeben.

Die Nudeln etwa zwei Minuten vor der angegebenen Kochzeit vom Herd nehmen und abseihen – in die Pfanne geben –  die Eikäsemasse dazu geben und für circa 2 – 3 Minuten gut durchrühren, dabei die Pfanne auf dem Herd lassen.

Dadurch gerinnt das Ei, der Käse schmilzt und das Ganze umschließt die Nudeln mit einer feinen, leicht körnigen cremigen Schicht. Nach Geschmack noch schwarzen Pfeffer darüber streuen.

Arianna, meine andere Italienischlehrerin, hat mir bestätigt, dass das eine “vera Carbonara” ist. Ihre Großmutter schmelzt noch eine Gemüsezwiebel zusammen mit dem Fleich. Diese Variante werde ich aber erst noch ausprobieren.

Non dimenticare: una buona carbonara si fa a casa. 

Buon Appetito!