Onze de La noche a Santiago de Compostela or: the show
Zu diesem Foto gibt es eine Geschichte, die ich gerade unbedingt aufschreiben musste und eine Playlist. Aber die steht in der Geschichte…
A donde vas?
Abendgesellschaft flaniert am Tisch vor der kleinen Bodega vorbei. Stadttouristen und, auf welche Art und Weise auch immer, angekommene Pilger. Die einen in Ausgehkleidung, die anderen in funktionaler Stadtausrüstung. Man weiss ja, dass es in Galzien immer regnet.
Einigen Menschen fällt mein Gegenüber am Tisch auf. Sie mustern ihn kritisch abschätzend im Vorbeigehen. Ist er ein freakiger Tourist, der schon länger unterwegs ist, oder einfach nur ein Landstreicher?
Was macht den Unterschied? Hat er nicht auch die Wahl, das Leben, das er führt, aufzugeben? In ein anderes zu schlüpfen?
Viele von denen, die ihn jetzt von oben bis unten abschätzig mustern, arbeiten bestimmt hart dafür, um sich für ein paar Wochen im Jahr, oder vielleicht auch nur einmal im Leben, so fühlen zu können, wie er. Frei und ungebunden, ohne zu wissen, in welchem Ort oder in welcher Herberge sie an diesem Abend unterkommen werden. Vielleicht haben einige auch schon den ganzen Weg im Voraus gebucht. Zusammen mit einem Führer, einer Wandergruppe.
Vielleicht schlafen manche jede Nacht in einem Fünf-Sterne-Parador und laufen tagsüber nur die wirklich schönen, die fototauglichen, Strecken mit ihrem ultraleichten Tagesrucksack auf dem Rücken.
Er hat riesige, dick abgepolsterte schwarze, Kopfhörer über den Ohren als er mich anspricht.
Er sei seit zwei Jahren auf dem Camino unterwegs.
Camino, so nennen viele den Jakobsweg. Die berühmte 800 Kilometer lange Pilgerstrecke durch Nordspanien, die bis nach Santiago de Compostela führt.
Also seit zwei Jahren obdachlos, übersetze ich sofort für mich.
Ob ich ihn zu einem Tee einladen würde?
Wo er denn heute herkommen würde? Ein bisschen herumgeschlurft sei er. Just shuffling around. Ob es wichtig sei, wieviele Kilometer einer am Tag laufen würde?
Ich gebe ihm einen 10 Euro-Schein, damit er mich einladen kann. Zu einem Glas Rotwein.
Wir laufen zusammen zu einem kleinen Platz in der Rua de Franco. Dort gibt es Bodegas, wo man draußen sitzen kann. Gleich in der Nähe der Kathedrale. Da, wo die allabendliche Prozession der Spazierenden vorbeizieht.
Er packt einen akkubetriebenen Minilautsprecher aus seinem Rucksack, stellt ihn zwischen uns auf den Tisch. Er fragt mich wie ein DJ, was ich jetzt gerne hören möchte. Ich wundere mich kurz, dass er sich von Steckdosen abhängig macht.
Mir ist nach Hawai. Er lächelt, bestätigt mir, dass das eine gute Wahl sei und lässt “Down Under” von Men at Work in die Gasse klingen. “I met a strange lady, she gave me breakfast.” Australien, aber Hawai? Doch, der Rhythmus klingt bei genauem Hinhören wie Hawai , stelle ich fest. Und Australien ist ja auch unendlich weit weg.
Außerdem legt er noch Gummibälle, die an Schnüren hängen und an denen lange bunte Bänder befestigt sind, vor sich auf den Tisch. Das Stück ist vorbei. Was ich jetzt hören wolle? ” Da Da Da” von Trio erwidere ich spontan. Er überlegt etwas länger, grinst. Er wählt Manu Chao” Me gustas tu”. Ich freue mich darüber, tanze auf meinem Stuhl sitzend mit.
Er steht unvermittelt auf, stellt sich in den Fluss der Passanten, und wirbelt mit geschlossenen Augen wie ein Besessener mit seinen Bällen, die an den Schnüren hängen. Die Bänder zeichnen bunte Schlieren um ihn herum, bilden immer neue Silhouetten, schaffen Distanz.
Am Nebentisch hinter ihm wippen zwei Briten mit der Musik aus dem Lautsprecher mit. “Good music, but perhaps a little bit loud” sagen sie über den Tisch hinweg zu mir. Ich zucke mit den Achseln und lächle sie an, was sie zu einem unkontrollierten Lachen veranlasst. Ich verstehe nicht weshalb. Habe ich unangemessen reagiert?
Santiago de Compostela.
Endstation des berühmten Jakobswegs durch Nordspanien.
Ich bin dann mal weg.
Ich bin dann mal angekommen.
Ich komme nicht mehr weg.
Ich komme nicht mehr auf den Weg.
Cristian kommt aus seiner Selbstversunkenheit an den Tisch zurück. Er holt seine Gitarre aus einer Hülle, die an seinem Rucksack befestigt ist. Spielt und singt. Ob er das hier dürfe, frage ich ihn.
“If somebody has something against me, he has to call the police” bekomme ich zur Antwort.
Der Brite am Nebentsch, der sich schon die ganze Zeit nach ihm umdreht, traut sich endlich und fragt, ob er die Gitarre bekommen könne. Er hätte seit Jahren nicht mehr gespielt. Und als er “Starway to Heaven” anspielt und dabei laut zu singen anfängt, liegt in seiner Stimme soviel Gefühl, dass mir fast das Herz zerspringt.
Das ist Santiago, denke ich. Da liegen die Emotionen ganz dicht unter der Oberfläche.
Dann lässt Cristian Youssou N`Dours “Seven Seconds” laufen. Vielleicht ein bisschen zu laut. Die Briten am Nebentisch bestellen noch ein Bier. Ich halte den Kellner an, möchte auch noch zwei Gläser Rotwein bestellen. Nein, wir könnten nichts mehr bestellen, nur noch bezahlen.
Die elegante spanische Art, uns beizubringen, dass wir unerwünscht sind.
Wir ziehen weiter. Über die Praza Obradoira die an einem Nebenausgang der Kathedrale liegt, klingt in den abgeschlossenen Platz sehnsüchtiger Bluesgesang zu Gitarrenbegleitung.
Ein amerikanischer Tourist sitzt mit seiner Gitarre auf dem Sims an dem Gebäude, das der Kathedrale gegenüber liegt. Junge Frauen sitzen um ihn herum, sie reden laut in ihrem unverkennbar amerikanischen Akzent miteinander, sie Filmen ihn, machen Handyfotos und applaudieren. It’s so romantic.
Erst denke ich an einen Kollegen Cristians. Von weitem sehen die beiden ähnlich aus. Der Amerikaner ist dunkelblond, hat sogar fast den gleichen Bart wie Cristian, einen Hipsterbart. Sein Gesicht ist ebenfalls schmal und braungebrannt. Wahrscheinlich ist er eine gewisse Strecke nach Santiago gelaufen. Aber er hat keinen Rucksack dabei und seine Bermudashorts sind eindeutig teure Markenausrüstung, noch nicht sehr alt, sein dunkelblaues T-Shirt liegt geschmeidig und stylisch an seinem muskulösen Oberkörper.
Cristian legt sich mit seinen Habseligkeiten auf den Boden des Platzes, hört zu. Ihm sei die gute Akustik hier noch nie aufgefallen.
Es ist weit nach Mitternacht. Wir finden noch einen offenen Laden in der Altstadt.
An den Tischen vor der Bar sitzt lachend internationales Publikum.
Camino beendet, jetzt wird gefeiert. What a Great Journey!
Ich setze mich alleine an einen freien Tisch, werde sofort bedient, bestelle zwei Gläser Rotwein.
Währenddessen kauert Cristian sich auf die Treppenstufen eines dunklen Hauseingangs. Ich bezahle sofort, als die Gläser kommen. Erst danach setzt Cristian sich zu mir an den Tisch.
Der Wirt würde ihn kennen. Was das bedeutet, frage ich nicht.
Er zieht die Ärmel seines viel zu großen Wollpullovers lang über die abgewetzten Manschetten seines dunkelblauen karierten Hemdes. Zieht noch eine weitere lange Hose an. Wahrscheinlich, damit er nicht so mager aussieht. Es wirkt auf mich, als ob er sich fein machen würde.
Ich stoße mit ihm an.
Er schaut mich mit seinen dunklen Augen an. Seine Kopfhörer umschließen wieder sein Gesicht.
Did you Enjoy the Show? fragt er.
Ja, denke ich ganz leise.
The Show. Das ist Santiago.
Er sagt: it’s just me. I am acting like me. I cannot say more.
It’s very difficult being a pilgrim, sagt er nach einer langen Pause.
Wem er gleichen würde? Ich denke an den Tanz seiner Bänder und antworte mit Don Quichotte de La Mancha. Er kennt ihn nicht. Na, der Mann der mit Windmühlen kämpft, erkläre ich.
Er schaut mich ernst an. Nein, er sei noch viel verrückter als der.
Dann reicht er mir seine riesigen Kopfhörer, drückt sie mir auf die Ohren: Bob Marley- “I Shot the Sheriff” höre ich. Und ich kriege kurz Bedenken ob der Läuse und Wanzen, die in seinen Haaren leben könnten. “But i did Not shoot the deputy”.
So, you don’t Know where i can find a warm bed? Fragt er mich. Ich verneine. Should i go to jail this Night?
I cannot take you with me, sage ich.
Abrupt stehe ich auf, drücke ihm noch einen 20 Euro – Schein in die Hand, für ein warmes Bett oder ein kleines Gelage mit seinen Freunden. Es ist mir egal, welche Tiere er vielleicht beherbergt, ich muss ihn umarmen, ihn fest an mich drücken, ihm alles Gute auf seinen Camino wünschen.
I Hope you could understand why i live like that, sagt er.
Ich laufe weg ohne mich umzudrehen, den Blick fest auf die bronzenen stilisierten Muschelsymbole gerichtet, die in das Straßenpflaster eingelassen sind. Ich laufe den offizielle Pilgerweg in umgekehrter Richtung. Laufe ihn bis zur Praza Cervantes, wo ich in eine Seitengasse abbiege, in Richtung meiner Pension. Und zu meinem warmen Bett.
Ankommen. Eine Nacht im Mai 2016. Damals kam ich über den Englischen Weg, den Camino Inglès, von Ferrol aus in Santiago an.