Kein Wunder, dass hinter mir sofort gehupt wird. Das Ampelsignal springt direkt von rot auf grün: ich bin überrumpelt, schließlich bin ich aus Deutschland eine gelbe Vorbereitungsphase zum Anfahren an der Ampel gewohnt.
Gut, dass es Nacht ist. Bei dem wenigen Verkehr werde ich in meinem kleinen weißen Smart nicht zum Verkehrshinderniss. Das Auto habe ich nach der Landung gerade am Flughafen übernommen. 20 Kilometer lang habe ich nun auf dem Weg nach Trapani Gelegenheit, mich an den sizilianischen Fahrstil zu gewöhnen.
3 Tage Sizilien. Im Januar. Verheißung frühlingshafter Temperaturen, während in Frankfurt Minusgrade herrschen und Eisschollen auf dem Main treiben.
Mal kurz nach Sizilien zu fliegen, auf diese Idee kann man nur mit einem Billigflieger vor der Haustür kommen. Und was hält einen zurück, wenn man gerade frei hat und der einfache Flug von Frankfurt-Hahn aus nicht einmal 20 Euro kostet? Mit Handgepäck versteht sich. Aber was braucht man denn schon für drei Tage? Meine Wanderschuhe, Jeans, einen dicken Wollpullover und eine Daunenjacke habe ich an. Hohe Stiefel, einen Rock, ein Kleid, eine Bluse, eine Strickjacke und Socken, Strumpfhosen und Unterwäsche, zwei bunte Halstücher kommen noch mit in den Rucksack. Das wiegt zusammen gerade mal 5 Kilogramm. Einen Reiseführer habe ich noch schnell am Flughafen gekauft, meine Tickets sind im Handy eingespeichert und dann habe ich natürlich meinen Fotoapparat mit dabei.
Als ich im Dunklen in Trapani lande, regnet es. Aber der Geruch des warmen Tages hängt noch in der Luft.
Mild und feucht schmeckt die meersalzgeschwängerte Luft, die beim Fahren durch das geöffnete Autofenster hereinströmt. Die sizilianischstämmigen Deutschen, die ich beim Abholen des Autos am Schalter kennenlerne, sind ganz perplex, dass ich mir alleine ein Auto gemietet habe und damit Sizilien erkunden will. Sie selbst hätten einen Heidenrespekt vor dem Verkehr auf der Insel. Chaotisch sei er, keinen Regeln gehorchend. Ganz anders als daheim. Mal abwarten, das Auto ist Vollkasko versichert.
Alles richtig gemacht, denke ich mir später, als ich nach der Ankuft im Hotel zu einer ersten Erkundung der Gegend um das Hotel aufbreche. Denn nachts um elf kaufe ich mir in einer Gelateria am Hafen noch ein Eis.
Trapani – Levanzo
Es ist zwar noch kalt, aber die Sonne scheint, als ich tagsdarauf schon um halb acht in der Frühe aufbreche. Die Straßen in der Altstadt sind noch ausgestorben und auch später sind nur die Geschäfte geöffnet, die auch ausserhalb der Saison von den Einheimischen frequentiert werden. Ich hole mir zu wahrhaft günstigen Preisen, ein erstes Frühstück: einen Cappuccino und ein Cornetto für 1,50 Euro. Dann laufe ich ohne bestimmtes Ziel kreuz und quer durch die Gassen, besichtige die Kathedrale. Von der Corso Umberto aus, die die Stadt, die wie ein Sporn ins Meer ragt, in zwei Hälften teilt, sehe ich auf beiden Seiten immer wieder hell türkis schimmernd das Meer. Irgendwann bin ich zu neugierig auf den Ausblick, weiche von meiner geplanten Route ab, steige ein paar Stufen zwischen zwei Häusern hoch, und gelange direkt auf den Hafenkai, der am Strand entlang führt. Dort scheint die halbe Stadt joggend unterwegs zu sein. Ich komme mit einem Arzt ins Gespräch, der vor seinem Dienst noch ein paar Runden dreht und mir unbedingt die schöne Aussicht vom Torre de Ligny aus zeigen will. Der westlichste Punkt Siziliens, oder doch zumindest Trapanis. Ein paar Häuser weiter bleibe ich in einem unscheinbaren Laden mit köstlich belegten Paninis hängen, beobachte die ankommenden Arbeiter, die unablässig ein und aus gehen, winzige Pappbecher mit Espresso-to-go mitnehmen, ohne Deckel natürlich, und versuche mich in den getragenen sizilianischen Singsang einzuhören.
Winterstrand von Trapani
Mein Vorhaben, mittags mit dem Auto nach Erice hochzufahren, wird mir im Touristenbüro von einem netten älteren Herren ausgeredet. Die Lichterketten der Stadt, die sich hoch über Trapani in den Berg schmiegt, habe ich bereits nachts vom Auto aus bewundert. Da läge Schnee und die Straße mit ihren Spitzkehren sei nur etwas für Schwindelfreie. Die Seilbahn von Trapani aus nach Erice ist außer Betrieb. Das Meer sei so schön ruhig heute, er würde mir eine Fahrt auf die vorgelagerten ägidischen Inseln empfehlen. Ob ich denn gerne laufen würde? Er deutet grinsend auf meine Wanderschuhe und holt eine Karte aus einem Schuber heraus. 15 Jahre habe er auf der kleinen Insel Levanzo gelebt. Für ihn sei dies der schönste Fleck auf der ganzen Erde. Jeden Weg, jeden Stein kenne er dort. Er zeigt mir auf der Karte eine Route, die ich an einem Nachmittag laufen könnte. Ein Hauptweg führt an der Küste entlang, und außerdem gibt es eine prähistorische Höhle zu besichtigen. Wenn ich mich beeilte, könnte ich noch die nächste Fähre erwischen. Am Hafen von Levanzo bin ich dann die einzige, die aussteigt. Der kleine Ort liegt im Winterschlaf, die meisten Fensterläden sind zugeklappt und selbst die Hafenbar hat geschlossen. Sicherheitshalber schaue ich, ob und wie lange die Fähren abends nach Trapani zurückfahren. Es gibt niemanden, den ich auf der Straße nach dem Weg fragen könnte und so laufe ich aufs Geradewohl die Küste in östlicher Richtung entlang. Biege zu einem ausgeschilderten Strand ab, der malerisch zwischen den Felsen liegt und bin bezaubert vom Anblick der sich mir von dort aus auf den ausgestorbenen Ort bietet. Zwischen Felsen und gelben Blüten schimmert das Wasser in einem Blau als würde es in Konkurrenz zur Karibik treten wollen. Und wäre das Wasser nicht wirklich eiskalt, würde ich glatt ein Bad wagen. LevanzoHafenbar LevanzoBoote im Winterschlaf (Levanzo) Nach dem Regen (Levanzo)
Später laufe ich über einen Bergrücken durch menschenleere Stille an Olivenhainen und Ruinen vorbei zurück ins Dorf und versuche von dort auf die westliche Route zu gelangen.
Das erste Mal wird die Stille der Insel gestört – durch das Geräusch eines Zementmischers. Die Bauarbeiter, die den Weg am Meer entlang ausbessern – sie schauen mich genauso entgeistert an, wie ich sie. Bisher sind mir nur dünne Katzen maunzend durch die Straßen hinterhergelaufen.
Als ich nach einem Umweg durch das Dorf wieder am Küstenweg ankomme, überholt mich zu meinem Erstaunen sogar ein Auto. „Grotta del Genovese” steht in dicken Lettern auf dem Heckfenster. Die Höhle des Genovesen, mein nächstes Ziel. Da, wo am Ende der Straße das Auto parkt, führt nun ein schmaler ausgeschilderter Pfad in die Felsen. Aber erst lasse ich mich wieder von einem Strand gegenüber der Faraglioni, gewaltiger Felsbrocken, die im Meer liegen, verführen, die Sonne zu genießen. Mein Handy zeigt 15 Grad an. Zum Glück habe ich zwei Äpfel eingesteckt und genügend Wasser dabei. Dann folge ich dem schmalen Grat, der sich um die nächsten Felsen entlangwindet.
Als es immer steiler wird und die Kurven waghalsiger, bemerke ich, dass es bereits fast vier Uhr ist – kurz nach fünf wird die Sonne untergehen. Da ich nicht weiß, wie weit es noch ist, drehe ich schweren Herzens um, um nicht im Halbdunkeln zurück gehen zu müssen. Pünktlich als ich den Ortsrand erreiche, geht hinter mir die Sonne unter. Andächtig staunend betrachte ich das Schauspiel. Es ist so still, ich meine ein Zischen zu hören, als die Sonne auf dem Horizont aufsetzt, noch einmal, unmerklich fast, nach oben schwingt, um dann sagenhaft schnell ins Meer abzusinken.In solchen Momenten bin ich einfach nur glücklich.
Zurück in Trapani wird es in der Hafengegend schwer, eine offene Trattoria oder Osteria zu finden. in den kleinen Bars, die geöffnet sind, bekomme ich zwar etwas zu trinken, aber wenn, dann nur eine Kleinigkeit zu essen. Als ich die kleine Osteria endlich finde, die mir der Herr aus dem Touristenbüro empfohlen hat, ist sie bereits seit sieben Uhr abends geschlossen und so lande ich dann als einziger Gast im “Ai Lumi”, einem Restaurant, das sich in einem schönen barocken Gebäude befindet. Ich möchte etwas typisches für den Ort essen – und so bekomme ich eine köstliche Capenata, eine Gemüsevorspeise, und Cuscusu di Pesce alla Trapanese serviert. Für den Wein verlasse ich mich ebenfalls auf die Empfehlung: Grillo, ein charaktervoller trockener einheimischer Weißwein.
Nubia – Segesta -Agrigento
Die Tage sind kurz im Winter und so bin ich am nächsten Tag wieder entsprechend früh unterwegs. Erst fahre ich das kurze Stück in den Nebenort Nubia, beobachte in den Salzbecken Flamingos und kaufe an einem kleinen Stand bei der Saline ein paar Dosen mit dem angeblich besten Salz des Mittelmeeres. Salinen von Nubia
Für den Rest des Tages will ich mich auf antike Spuren begeben.
Ruinen von Segesta
Die Ruinen von Segesta liegen erhaben in den Hängen des Monte Barbaro, auf der Autobahn keine halbe Stunde entfernt. Ein unvollendeter Tempel mit dorischem Säulen steht ganz alleine, golden leuchtend auf einem Hochplateau. Er ist aber nicht griechisch, wievich vetmute, sondern elymnisch, wie ich in meinem Reiseführer nachlese. Die Elymner sind eines dieser Völker, die im Verlauf der Geschichte verschwunden sind und von denen ich bis dato nichts gehört habe. Nach einem gut zwanzig minütigen schweißtreibenden Aufstieg erreiche ich das Theater, das halbrund in den Felsen gehauen ist. Von seinen Bänken aus kann ich bis vor ans Meer, an den Golf von Castellamare, sehen. Was für eine Kulisse das für die Aufführung gewesen sein muss. Findige Marketingmanager müssten doch schon längst auf die Idee gekommen sein, hier im Sommer Musikveranstaltungen aufzuführen.
Der Trampelpfad oberhalb des Theaters scheint eine direkte Verlängerung zur Autobahn zu sein, die ihr blitzendes Band durchs Tal zieht. Schön hier oben. Scheinbar uneinnehmbar geschützt. Weshalb die Stadt wohl verlassen wurde? Ein Erdbeben? Die Stadt ist terrassenartig an den Berg gebaut- vielleicht ist ja durch ein Erdbeben ein Teil der Gebäude abgerutscht, oder gab es eine Seuche?
Nach gut eineinhalb Stunden Fahrt erreiche ich mein nächstes Ziel: das Tal der Tempel bei Agrigento. Es scheinen nur Sizilianer auf den Straßen unterwegs zu sein – entsprechend schnell ist das Tempo auf der zum Teil sehr kurvigen und unübersichtlichen Strecke.
Gut ausgeschildert liegen die archäologischen Stätten am südlichen Stadtrand von Agrigento. Im Tal der Tempel soll es einige der besterhalten Tempel der griechischen Antike zu sehen geben. Seit dem ich den Namen des Ortes das erste mal gehört habe, wollte ich dort einmal herumstreifen. Das Gebiet erstreckt sich über fast 4 Quadratkilometer. Vom Eingang am Parkplatz bis hoch zum Concordia Tempel, den ich mit hüpfendem Herzen, erhaben und schön zwischen den Bäumen bereits vom Auto aus habe aufblitzen sehen, sind es bestimmt zwei Kilometer. Es gibt von einem Hauptweg abgehend verschiedene Trampelpfade durch die Ruinen. Ungestört laufe ich von Station zu Station, lese die Beschreibungen auf den Hinweisschildern. Ich habe auch kein Zeitproblem, denn wie mir am Eingang am Parkplatz versichert wurde, werde man erst um 19 Uhr schließen. Außer den über das ganze Gelände verteilten Tempelresten beeindrucken mich die Kolosse an meisten. 12 Kolosse jeweils ursprünglich 8 Meter hoch haben einen Tempel auf ihren Schultern getragen. Entspannt klettere ich durch die alten Steine, und genieße schließlich den Sonnenuntergang am Concordiatempel am obersten Punkt des Tals. Ein Pärchen macht schnell noch ein paar Selfies in der romantischen Kulisse, dann bin ich ganz alleine. In der neuen Stadt, die sich wie eine Betonwand gegen das Tal lehnt, gehen langsam die Lichter an. Scheinwerfer strahlen nun die steinernen Zeugen der Vergangenheit an. Da es auf dem Hauptweg keine Wegweiser gibt, suche ich im Dunklen den gleichen Weg, den ich gekommen bin, zurück. Ein bisschen unheimlich ist mir dabei schon. Der Wächter am Ausgang begrüßt mich dann freudig. Notfalls hätten sie mich gesucht, mein Auto ist schließlich das einzige, das noch auf dem Parkplatz steht.
Abends suche ich mir dann im Zentrum von Trapani nahe der Piazza Vittorio Emmanuele ein einfaches Fanilienrestaurant. Spezialität ist eine Art Kebabpizza. Echt sizilianisch versichert mir der Cameriere. Sie ist saftig und schmeckt, nach dem langen Tag an der frischen Luft, ausgezeichnet, aber ich bezweifle, dass ich sie in Deutschland als echte italienische Pizza erkannt hätte. Die Realität und unsere Vorstellungen davon, wie es woanders typischerweise sein soll, driften doch sehr auseinander. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass die bestverkaufte Tiefkühlpizza Italiens die Pizza mit Würstel ist. Und auch auf dieser Karte lese ich Pizzavariationen, die mir das Blut in den Adern gefrieren lassen: Pizza Kebab, mit Kebab und Pommes als Belag, zum Beispiel. Aber der Laden ist rappelvoll, den Trapanesen und besonders den Familien mit Kindern schmeckt’s ganz offensichtlich.
Die Nähe zu Nordafrika ist nicht nur am Klima, sondern auch bei vielen Gerichten spürbar – schon am ersten Abend sind mir Paninerias bzw. Cuscuserias aufgefallen, wo es belegte Paninis und Cuscus zum Mitnehmen gibt. Cuscus zum Mitnehmen? Entspricht bestimmt nicht der deutschen Vorstellung von italienischem Take away.
Palermo
Freitag morgens studiere ich die Wettervorschau in der Handyapp. Ab 10 Uhr sind in der Gegend um Trapani Sturmböen und Regen angesagt. Sizilien ist groß genug, um vielleicht an einer anderen Küste besseres Wetter zu bieten. Schließlich bin ich durch das Auto unabhängig. Zwar scheint wieder die Sonne, aber der heftige Wind kündigt einen Wetterumschwung an. Als ich unentschlossen auf der Straße vor dem Hotel stehe und überlege, ob ich es doch noch versuche, nach Erice hoch zu fahren, spricht mich wieder der Besitzer des kleinen Haushaltsladens neben dem Hotel an. Wir haben schon jeden Morgen einen kleinen Plausch gehalten. Er steht den ganzen Tag vor seinem Laden und beobachtet die Passanten und den gegenüberliegenden Hafen. Wie es bei Marilena sei? Er kenne sie seit sie ein kleines Mädchen ist, und jetzt hat sie ein Hotel. Ich kann nicht viel sagen, das Zimmer ist schön, aber leider sehr kalt, den Rest haben wir online erledigt: ich habe per E-Mail den Code für die Tür und den Schlüsseltresor bekommen – die Rezeption ist erst ab 9 Uhr geöffnet, da bin ich schon längst unterwegs.
Es sieht auf jeden Fall nach Sturm aus und werde heute auf jeden Fall noch heftig regnen, meint er dann. Nach Erice hoch sei es zu gefährlich, es sei denn ich hätte Schneeketten – denn dort würde es heute sicherlich noch heftig schneien. Palermo sei doch eine gute Alternative, denn selbst wenn es regnet, gibt es genügend zu besichtigen. Aber zunächst renne ich quer über die Straße- ich habe ein winziges weißes Gefährt entdeckt, auf dessen offener Ladefläche Orangen zum Verkauf angeboten werden. Brasilia Orangen direkt von den Hängen des Ätna. Frisch gepflückt. Zuerst bewundere ich das Auto, dann probiere ich eine Orange, saftig und ungeheuer geschmacksintensiv. Ich nehme ein Kilo, bringe die Orangen ins Hotel, dann renne ich zurück, kaufe noch zwei weitere Kilo – in meinem Rucksack ist noch Platz und so köstliche Orangen werde ich in Deutschland auf keinen Fall bekommen. Also los. Zieh dich warm an. Palermo – das wird deine Feuertaufe als Autofahrerin, feuere ich mich selbst an. Nach 600 Kilometern auf sizilianischen Straßen hat mich die Art wie man hier fährt infiziert. Geschwindigkeitsbegrenzung 70 km/h ist angezeigt, aber vor mir schleicht einer mit 80km/h? Runterschalten, Blinker raus, und mit 100 Sachen vorbei. Das geht, wenn die Straße übersichtlich und die Reifen gut sind. Mit Passagieren im Auto würde ich das nicht machen, aber für mich alleine kann ich den Nervenkitzel verantworten. Die Sizilianer denken einfach beim Autofahren mit. Kein Wunder, dass sie rechts überholen, wenn jemand langsam fährt: der hält den Verkehrsfluss auf. Seitdem ich auch den Seitenstreifen benutze, wenn mir die anderen zu schnell fahren – was sie ja gerne dürfen, weil sie sich auskennen – passiert mir das nicht mehr – und was soll’s, wenn die Straße breit genug ist, können auch locker drei Autos nebeneinander in eine Richtung fahren. Gestern Abend bin ich zwei Stunden wie ein Henker durch die Dunkelheit nach Trapani zurück gedüst. Das ging natürlich nur, weil Einheimische vor mir fuhren. Auf dem Weg nach Agrigento habe ich, mit genügend Abstand am Vordermann klebend, tagsüber schon mal geübt, wie ich auch mit 120 km/h durch die Kurven sausen kann. Wen interessieren Geschwindigkeitsbeschränkungen, wenn man doch selbst am besten einschätzen kann, wie schnell man die Strecke fahren kann? Das kann man Selbstbestimmtheit nennen. Selbstmörderisch scheint es denen, die auf Regeln pochen. Und es geht um die Kommunikation. Ich habe selten aufmerksamere Autofahrer als in Sizilien erlebt. Man muss nach vorne schauen beim Fahren, nicht zögern, ausführen, was man angefangen hat. Diese Regeln herrschen dann auch in Palermo: gegenseitige Rücksicht, und du musst wissen, was du wilst. Schau nach vorne, rechts und links. Was hinter dir passiert, kann dir egal sein. Der hinter dir muss nach vorne schauen. Es gibt plötzlich unangekündigten Links- vor Rechts-Regelungen. Selbstjustiz oder Pragmatismus. Oder Rücksichtsnahme, weil die anderen Autos sonst nie in die belebte Straße einbiegen könnten. Und halte ich für rechts vor links an, überlässt mir der andere Fahrer lächelnd die Vorfahrt. Auf die Vespas, die permanent wie aus dem Nichts vorbeischießen, brauche ich nicht aufzupassen. Die wissen, dass sie gegen Autos keine Chance haben und weichen aus. Nur einmal gerate ich ins Schwitzen, weil ich aus Versehen in eine gesperrte Straße mitten ins Stadtzentrum fahre. Kurzzeitg hat mich der Blick auf einen Platz mit einem wunderschönen Renaissancebrunnen abgelenkt, nachdem ich durch beeindruckend dunkle Strassenschluchten mit hohen Häusern gefahren bin. Aber sofort fahren mir andere Autos hinterher, ich muss in der leeren Straße weiterfahren, sehe in einer vollgeparkten Seitenstraße, dass gerade eine Lücke frei wird, biege ab und quetsche mich direkt rein. Ich stehe im absoluten Parkverbot. Beide Seiten der Straße sind bis auf den letzten Zentimeter zugestellt. Ich inspiziere die Innenräume und Scheiben der anderen Wagen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie eine Anwohnerparkgenehmigung oder ähnliches haben. Was kann schlimmstenfalls passieren? Das Auto wird abgeschleppt oder ich bekommt eine Parkkralle oder nur einen Strafzettel. Ich fotografiere das Auto und die Umgebung. Ich habe keine Ahnung, wo in Palermo ich mich überhaupt befinde. Gogglemaps hat mich in die Innenstadt geleitet. Mein Flug geht am nächsten Morgen. Ist das Risiko zu hoch, hier stehen zu bleiben? Ich muss abends nach Trapani zurück. Was tut man also in Italien, diesem äußerst kommunikativen Land? Genau. Man fragt die Anwohner. Der Herr im braunen Mantel beruhigt mich, ich sei in der Via Maqueda, die direkt Innenstadt führt. Ganz in der Nähe sei auch ein Touristenbüro und mit dem Auto – non succede niente- non ci sono problemi – es wird nichts passieren, da gibt es keine Probleme. Ich weiß nicht, was „abschleppen” heißt, jetzt muss ich mit Händen und Füßen erklären. Woher ich denn sei in Deutschland? Er zählt auf: München, Dresden, Mainz. Aus Frankfurt – non e vero – er hat zuletzt als Pizzabäcker in Niederroden, also ganz in der Nähe, gearbeitet- aber Deutsch nein, nie gelernt, alle um ihn herum haben immer Italienisch gesprochen. Er sei jetzt auch wieder Koch, ob ich nicht zum Essen kommen wolle. Wir verabreden uns in seinem Lokal – ich habe mich für den frühen Nachmittag angekündigt. Fisch will er mir zubereiten. Er zeigt mit das Lokal im Vorbeigehen. Es ist winzig, in den linken Pfeiler eines Durchgang hineingebaut. Die Gegend ist irgendwie zwielichtig, ich werde es versuchen, denke ich, aber ob ich es überhaupt jemals wieder finde?
Im Touristenbüro hole ich mir einen Stadtplan und werde dann wegen des Autos ebenfalls wieder beruhigt. Ich lasse es also stehen und laufe los. Über die Piazza Pretoria mit ihrem wunderschönen Brunnen mache ich einen Abstecher in die Kirche Santa Caterina, dann schlendere ich weiter über die Quattro Canti, den vier Ecken, zur Corso Vittorio Emmanuele in Richtung Cattedrale. Piazza PretoriaDetail der Quattro Canti
Immer wieder entdecke ich wunderschöne arabisch anmutende Innenhöfe. Von der Cattedrale aus, wo der Aufgang zum Dach wegen des angekündigten Sturms gesperrt ist, will ich weiter zum Palazzo di Normanni. Die Wegweiser leiten mich falsch, als ich feststelle, dass ich erneut um den ganzen Komplex herumlaufen müsste, um einem offenen Eingang zu finden, verliere ich die Lust. Die Sonne kämpft sich immer wieder gegen die grauen Wolken durch und so bleibe ich lieber vor einem Café in der Sonne sitzen, als den Palast zu besichtigen. Außerdem lockt es mich eher zur Kirche von San Cataldo, deren orientalisches Dach immer wieder zwischen den Häuserreihen aufblitzt. San Giovanni degli Eremiti
Zwischendurch nasche ich Arancini oder süße Stückchen. Von San Giovanni degli Eremiti aus, laufe ich quer durch ein Wohnviertel, stoße dann zwischen engen Gassen auf den Markt von Ballarò. Unwillkürlich denke ich: jetzt alle Wertsachen wegstecken. Es ist ein altes Viertel, malerisch zwar, aber die Häuser sind heruntergekommen, Wäsche hängt zum Trocknen die Hauswände hinunter. Über das Pflaster fließt Wasser, vermischt mit Gemüseabfällen vom Markt. Laut und unübersichtlich bunt ist es, überall brüllen Händler, halten ihre Waren hoch. Die Menschen, zwischen denen ich mich bewege, kaufen tatsächlich ein, wählen aus, handeln oder sind zielstrebig unterwegs. Andere Touristen entdecke ich kaum. Es ist faszinierend authentisch. Als ich mich frage, ob ich wirklich durch den nächsten dunklen Durchgang weiter will, noch tiefer in das Gewirr des Viertels hinein, stelle ich fest, dass ich vor dem Lokal stehe, wo ich mich verabredet habe.
Der Koch hat nicht damit gerechnet, dass ich tatsächlich auftauchen werde, das merke ich sofort. Männeraugen von den Barhockern an der Theke verfolgen mich flüchtig, als ich eintrete. Die vier Tische sind mit rotweisskarierten Tischdecken dekoriert. Außer mir sitzt noch ein weiterer Mann zum Essen an einem Tisch. Er sieht kurz auf und nickt mir zu. Als ich meine Bestellung für Fisch bestätige, sehe ich den Koch durch die Hintertür schnell im Markt verschwinden. Der Ballarò ist also seine Vorratskammer. Während ich auf’s Essen warte, beobachte ich das Kommen und Gehen der Männer an der Bar. Ich wage tatsächlich nicht, zu fotografieren. Ich komme mir vor, als wäre ich als Komparsin in eine Kulisse für einen Mafiafilm geraten. Es kommen ganz normale Marktleute herein, Rentner, Nachbarn vielleicht, aber auch elegante schlanke Männer in tiefschwarzen Anzügen, dunklen Sonnebrillen und tief ins Gesicht gezogenen Hüten, an den Fingern dicke goldene Siegelringe. Sie werden anders gegrüßt, respektvoller? Oder geht meine Fantasie mit mir durch? Sie schauen auf einen kleinen Wein oder einen Schwatz an der Theke vorbei. Oder sind es ganz andere Geschäfte, weshalb sie hier sind? Andere wiederum sehen aus wie das Klischee vom sizilianischen Killer. Mit Narben im gebräunten Gesicht, und so unnahbar, dass ich ihre Kälte von meinem Platz aus zu spüren glaube. Fasziniert würde ich mich am liebsten unsichtbar machen, um ungestörter beobachten zu können und mitzubekommen, was hier abläuft. Als ich gegessen habe, sehr gut natürlich, alles war frisch für mich zubereitet, verabschiedet sich der Koch von mir. Er nimmt mir noch das Versprechen ab, in Niederroden zu schauen, ob es die Pizzeria in der er gearbeitet hat, noch gibt.
Ich laufe wieder die Via Quemada entlang, diesmal aber gerade aus zum Teatro Massimo. Die Straße verändert sich aus der Altstadt heraus zu einer geschäftigen Einkaufsstraße. Ich bin auf der Suche nach einer Boutique, die die traditionellen sizilianischen Kappen in eigener Herstellung bunt und modern interpretiert. Die Betreiber sind Mitglied der Antipizzo-Organisation. Pizzo nennt sich das Schutzgeld an die Mafia. Mehrere Geschäfte haben sich zusammengeschlossen, und verweigern sich öffentlich der Zahlung.
Weiter durch die Stadt – über die Vuccaria, ein armes aber sehr lebendiges und früher bestimmt sehr schönes Viertel, das gerade von den Kreativen entdeckt wird, laufe ich bis zum Hafen und später wieder in die Innenstadt zurück.
Freitag Abend scheint ganz Palermo unterwegs zu sein- am liebsten würde ich bleiben- aber um acht Uhr mahnt mich die Vernunft, nach Trapani zurückzufahren.
Auf der Rückfahrt setzt plötzlich Regen ein. Er peitscht so stark über die Autobahn, dass sich selbst die Sizilianer an die rot blinkenden elektronischen Geschwindigkeitsanzeigen halten, die vor schwierigen Wetterbedingungen warnen.
Noch zwei Abschiedscocktails in einer Bar am Hafen, während der Regen unablässig herunterprasselt.
Was passiert, passiert
Mitten in der Nacht werde ich von dem heftigen Knallen eines Gewitters wach. Gewohnheitsmäßig greife ich zum Handy, um zu sehen, wie spät es ist. Das Display ist tot. Hat in der Nähe der Blitz eingeschlagen und der Strom ist ausgefallen? Ruckartig schnelle ich nach oben, suche den Lichtschalter. Das Licht geht an. Habe ich den Ladestecker nicht richtig eingesteckt – die italienischen Steckdosen sind ja etwas eng. Nein, es passt alles. Ich renne ins Bad, stecke das Ladekabel in die nächste Steckdose. Ich muss wissen, wieviel Uhr es ist. Um sieben Uhr geht mein Flugzeug und ich kann draußen vor dem Fenster in dem tosenden Sturm nicht erkennen, ob es bereits auf morgen zugeht oder noch finsterste Nacht ist. Um Mitternacht habe ich mich hingelegt, die paar Sachen sind längst im Rucksack verstaut. Ich kann also einfach los kann. Aber wieviel Uhr ist es? Wieso lädt mein Handy nicht? Ist mein Handy kaputt? Alle Tickets sind auf dem Handy. Natürlich habe ich nichts ausgedruckt. Ich muss schauen, dass ich zum Flughafen komme, irgendwie wird man doch dort nachvollziehen können, dass ich ein Ticket gebucht habe. In meinem Kopf hämmert es: das ist ein Alptraum. Das muss ein Alptraum sein. Du wirst gleich merken, dass du träumst und aufwachen. Aber ich wache nicht auf. Ich bin hellwach. Katzenwäsche im Bad und raus ins Auto. Es steht direkt an der Hoteltür. Es regnet so stark, ich laufe wie in ein Wasserbassin hinein, bin sofort tropfnass. Gewohnheitsmäßig stöpsele ich das Ladekabel in das Cockpit ein. Nichts passiert außer der Meldung: iPhone deleted. Danke. Ich muss zum Flughafen. Ohne Googlemaps muss ich mich auf mein Gefühl verlassen, fahre Richtung Innenstadt, da muss es ja Wegweiser zum Flughafen geben. Es schüttet, dass die Scheibenwischer kaum hinterherkommen. Da entdecke ich ein Hinweisschild – es führt Richtung Hafen zurück. Als ich die Richtung nehme, sehe ich, dass die Autos am Straßenrand fast bis zu den Türklinken im Wasser stehen und bemerke, dass ich kaum noch vorankomme, so hoch steht das Wasser auf der Straße. Ich jage den Rückwärtsgang rein und fahre zurück. Es muss noch einen Weg über die Autobahn zum Flughafen geben. Ich fahre ohne Orientierung quer durch die Stadt, überfahre aus Nervosität rote Ampeln. Endlich ein Wegweiser. Ich kann problemlos auf die Autobahn auffahren. Meine Gedanken überschlagen sich. Ob ich bei dem Wetter überhaupt mit dem Flugzeug werde starten können? Plötzlich leuchtet mein Handydisplay auf. 3.29 Uhr. 3 % geladen. Erleichterung – das Handy lädt sich doch noch auf. Ich habe noch Zeit genug, kann jetzt noch ein bisschen fahren, dann kann ich wenigstens meine Flugtickets vorzeigen. Um die Batterie schneller zu laden, lasse ich googlemaps aus – ich bin ja auf der Autobahn. Bei Segesta fahre ich von der Autobahn, will auf der anderen Seite wieder in die Gegenrichtung auffahren, aber in der Baustelle, die sich an derAuffahrt befindet, wird die Wegführung total unübersichtlich. Ich fahre wieder auf die Autobahn. Der Regen wird langsam schwächer- was mich nur irritiert: ich fahre bergaufwärts, es müsste aber doch nach unten gehen. Ich gebe Gas. Bin ich richtig? Dann lese ich das nächste Schild: Palermo. Doch noch nicht aus dem Alptraum aufgewacht. Ich schalte doch Googlemaps ein- lasse mir die Ankunftszeit am Flughafen anzeigen: 6.35 Uhr. Um sieben Uhr geht das Flugzeug. Einatmen, ausatmen, ruhig bleiben. Ich muss noch ein ganzes Stück weiterfahren, um endlich umdrehen zu können. Um 6.36 Uhr fahre ich das Auto auf den Parkplatz am Flughafen, fülle die Rückgabepapiere aus, werfe den Schlüssel bei der Autovermietung ein. Renne zur Sicherheitskontrolle, zeige mein Ticket vor. Das Handy hat 18% geladen. Bis endlich alle im Flugzeug sind, ist es kurz vor sieben. Beruhigt lasse ich mich in den Sitz fallen. Ich habe es geschafft. Ich habe noch kurz mit einer Frau den Sitz getauscht, damit sie bei ihrer Familie sitzen kann. Um mich herum spielen sich jedoch tumaltartige Szenen ab. Wie Waffen haben die Passagiere ihre prallgefüllten Rollkoffer in das kleine Flugzeug geschleppt. Nun gibt es fast Schlägereien, weil die Fächer über den Sitzen bereits alle gefüllt sind und die Leute nicht bei ihren Koffern sitzen. Bis die Stewardess auf einmal auf Italienisch in den Gang brüllt und damit alle zum Schweigen bringt: Das ist ein Flugzeug. Bis wir in Frankfurt sind, wird der Koffer auf keinen Fall gestohlen. Und endlich schafft sie es auch, dass sich nacheinander alle setzen, damit wir endlich starten können. Das ist hier immer so, die Sizilianer machen einfach alle was sie wollen, seufzt sie, als ich bei ihr einen Kaffee bestelle. Als ich mit Kreditkarte zahle und sie die Rechnung meinem Platz zuordnen will, sage ich, dass ich getauscht habe. Die Frau neben mir auch. Die anderen um uns herum auch. Es sitzt absolut niemand auf dem Platz auf dem er sein sollte.
Man muss sie lieben, die Sizilianer.